- Kulturkampf
Der Ausdruck Kulturkampf stammt aus einem
Wahlaufruf Rudolf Virchows* für die Fortschrittspartei ("Kampf für
die Kultur") und steht für die Auseinandersetzungen
zwischen dem 1871 gegründeten. Deutschen Reich und der katholischen Kirche
um die (Neu-)Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche und den
kirchlischen Einfluss vor allem auf Bildungswesen sowie Ehe- und Schulgesetzgebung
(1871-87). Seither auch bezeichnend für ähnliche Auseinandersetzungen in
Hessen, Baden (ab 1863/1864), Österreich (1855-74) und der Schweiz (1873-83)
bzw. für den grundlegenden Konflikt zwischen dem modernen Staat und der
vom Traditionalismus geprägten katholischen Kirche im 19.Jahrhundert. Mit
besonderer Schärfe wurde der Kulturkampf in Preußen geführt. Als
Hauptgegner standen sich Fürst und Reichskanzler Otto von Bismarck
und Papst Pius IX. gegenüber.
- Grundlagen: Wesentliche Grundlagen für den Kulturkampf
bildeten einerseits der im Ergebnis der Revolution von 1848 politisch
organisierte und einflussreiche Liberalismus und die zunehmende Emanzipation
der bürgerlichen Gesellschaft von der Kirche, andererseits die Bestrebungen
des Papstes und der katholischen Kirche, im Rahmen eines politischen
Katholizismus ihren traditionellen politischen Einfluss zu bewahren
und auszubauen und die nationalen Teilkirchen enger an Rom zu binden
(Ultramontanismus). Der Kulturkampf wurde ausgelöst durch die
Frontstellung der katholischen Kirche gegen die liberale Staatslehre
(Syllabus errorum 1864 und das Unfehlbarkeitsdogma 1870)
und die oppositionelle Haltung der Zentrumspartei im neu gegründeten
Deutschen Reich. Bismarck sah innenpolitische Gefahren durch eine Koalition
von "Reichsfeinden" und äußere Bedrohungen durch katholische
Mächte. Seine Maßnahmen fanden Unterstützung bei den Liberalen. Bismarck sah vor allem in der 1870 gegründeten
Zentrumspartei die politische Kraft, mit der der Papst in die
Angelegenheiten des vorwiegend preußisch-protestantisch geprägten neuen
Deutschen Reiches hineinregierte, und versuchte, den Einfluss der katholischen
Kirche auf dem Wege der Gesetzgebung zu brechen.
- Die wichtigsten Schritte im Reichstag
waren: Annahme des Kanzelparagraphen
1871 (StGB, §130a; in der Bundesrepublik
Deutschland erst 1953 aufgehoben) der den Missbrauch der Kanzel zu
politischen Zwecken verbot, 1872 wurde mit dem Jesuitengesetz die
Tätigkeit des Jesuitenordens im Deutschen Reich verboten.
In Preußen erfolgte 1871 die Auflösung der katholischen Abteilung
des Kultusministeriums, 1872 Annahme des Schulaufsichtsgesetzes
(staatliche Aufsicht über alle Schulen), 1873 Verabschiedung der vier Maigesetze,
die eine wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen mit staatlichem
"Kulturexamen" sowie eine Verstärkung der staatlichen
Aufsicht über die Kirche vorschrieben. Wegen der von Papst
Pius IX. unterstützten (geforderten) Weigerung der Katholiken,
diese Gesetze anzuerkennen, wurden zahlreiche Bischöfe und Geistliche
abgesetzt oder verurteilt. Im Mai 1875 folgte das Klostergesetz
(Auflösung aller Klostergenossenschaften außer den krankenpflegerischen
in Preußen). Das Zivilehegesetz (1874
preußisches Landesgesetz, 1875 Reichsgesetz), führte die pflichtmäßige
Zivilehe (ab 1876) Aufbau von Standesämtern und Personenstandsregistern
(Familienbuch 2) ein. Mit dem sogenannten Brotkorbgesetz von
1875 wurden alle staatlichen Leistungen (Zuschüsse) an die katholische
Kirche eingestellt. Da die katholische Kirche ihren Widerstand
behauptete und die Erbitterung der katholischen Bevölkerung sich in
der wachsenden Stimmenzahl der Zentrumspartei ausdrückte, begann Bismarck
nach dem Tod Papst Pius' IX. mit Papst Leo XIII. Ausgleichsverhandlungen,
so dass durch die Friedensgesetze
von 1880 und 1887 der Kulturkampf formell beendet wurde.
- Von den Kulturkampfgesetzen blieben in
Kraft: Aufhebung der katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium,
Gesetze gegen Kanzelmißbrauch, über Schulaufsicht des
Staates, Kirchenaustritt, Zivilehe und Staatsaufsicht
über die Vermögensverwaltung der kirchlichen Gemeinden. Die Aufhebung des Jesuitengesetzes erfolgte erst
1904 und 1917 (in zwei Stufen).
- Außerhalb
Preußens: In
Baden, Bayern und Hessen ging es vor allem um die Beschneidung des
kirchlichen Einflusses auf das Schulwesen. In der Schweiz kam es zu
Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche zwischen 1873 und
1883 besonders in den Kantonen Genf, Solothurn und Bern. Der Bundesrat
brach 1874 die Beziehungen zum Vatikan ab (1920 wieder aufgenommen).
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- * Rudolf Virchow, war Pathologe, Anthropologe
und Politiker, * 13. 10. 1821 Schivelbein, Pommern, + 5. 9. 1902
Berlin. Begründer der Zellularpathologie und Mitbegründer der modernen
Anthropologie und Vorgeschichtsforschung. Als Politiker war er Mitgründer
der Deutschen Fortschrittspartei und ab 1880-1893 Mitglied des Reichstages
(ab 1884 für die Freisinnige Partei). Der Politik Bismarcks stand er
ablehnend gegenüber.
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- Quellen:
- Die Inhalte sind den Lexika von Bertelsmann,
Fischer, Mayers und Brockhaus entnommen.
- Zusammengestellt von KW.
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