Vor zwanzig Jahren ...
(von Schwester M. Dolores OP, geschrieben 1965)
Winter 1944/45! Er ist voller Schrecken! Man kommt aus dem Luftschutzkeller und Bunker nicht mehr heraus! Dabei sind alle mürbe und am Ende ihrer Kraft.
Die letzten Monate waren zu grausig! Bereits am 20. Juli 1944 war der 1. Angriff auf Arenberg erfolgt: 12 schwere Bomben fielen zwischen Caritashaus und Straße, eine ging in die Anlagen, ein ganzer Bombenteppich in den Hannarsch.
Frau Barbara Schmitz musste ihr Leben opfern.
Nach leichteren Angriffen in den folgenden Monaten hatte dann ein furchtbarer Nachtangriff am 6. November Koblenz in einen Trümmerhaufen verwandelt. In Arenberg fielen zwei Luftminen, mehrere Häuser brannten ab, die Flakkasernen waren ein loderndes Feuermeer. Pfarrkirche, Gnadenkapelle, Mutterhauskapelle und zahllose Häuser büßten ihre Fenster ein.
Am 10. Dezember erfolgte ein schwerer Tagesangriff auf Koblenz und Umgebung. Ein Volltreffer ging in den Keller der Schule in Arenberg. 16 ganz junge Rekruten, kaum dem Knabenalter entwachsen, mussten verbluten und Familie Fritz Marx aus der Schulstraße verlor ihr 4 jähriges Töchterchen Edith.
Das Mutterhaus (der Dominikanerinnen / Red.) erhielt einen Volltreffer auf den rechten Eckflügel.
Am HI. Abend schütteten 5000 Bomber ihre tödliche Last über dem Rheinland aus. Das Grauen wuchs und Angriff folgte nun auf Angriff. Die Einwohner von Immendorf hatten sich mittlerweile einen Stollen in einen Sandberg am Bitzenweg gegraben. Die Arenberger trieben einen Stollen in den Calmen, und auch am Caritashaus war ein kleiner Stollen in den Berg gebaut.
Manche Familien sind in den still gelegten Helenenstollen des Silberbergwerkes geflüchtet. Erschütternd ist es zu sehen, wenn unsere Mütter, erschöpft und abgezehrt, mit ihren Kindern bei den immer häufiger werdenden Alarmen in den Stollen rennen und oft genug ihre Kleinsten in einer großen Tasche mitschleppen müssen. „Im Bunker geboren, im Bunker groß geworden", sagt eine verzweifelte Mutter, zitternd um ihre Kinder hier und um ihre Männer und Söhne draußen an den Fronten oder im bitteren Herzeleid um die, die in Gefangenschaft gerieten oder nicht mehr wiederkommen.
Am 27. Dezember gehen 34 Bombenteppiche über Koblenz nieder. Am 31. Dezember fallen in Arenberg schwere Bomben bei Wüst und Schneider. So leben wir nun stündlich in Todesangst vor dem Kommenden.
Doch
einen Trost haben wir:
Die
Erlösungskapelle, die
Gnadenkapelle von Arenberg!
Schon seit 1941 war das vernachlässigte kleine Heiligtum von seinem Erbauer, unserm unvergesslichen Pfarrer Kraus, so sehr geliebt und geschätzt, mehr und mehr wieder zu einer Stätte des Gebetes geworden, zu einer Zuflucht in allen Stunden der Angst und Not! Täglich fand sich eine immer größere Beterschar dort ein zum gemeinsamen Rosenkranz, dem Notgebet der Christenheit seit vielen Jahrhunderten und bestürmte die Gottesmutter um Hilfe und Schutz für unsere Heimat, für unsere Familien daheim und unsere Männer draußen im Grauen der Schlachten.
Sogar im Winter 1943, dem entsetzlichen Stalingradwinter, da auch bei uns das Thermometer unter dreißig Grad sank, blieb die Schar der Beter nicht aus. Wohin sollten wir auch gehen in diesen Monaten der Kälte, des Grauens und der Angst um unsere Lieben in der tödlichen Kälte des Ostens? Verwundete des Reservelazarettes im Mutterhaus hatten die Fensterlöcher notdürftig mit Pappe vernagelt und mit Stroh verstopft und Vertrauen und Liebe zur Schmerzensmutter ließen uns Frost und Eis vergessen. Der Rosenkranz wird nun unser Trost und unsere ganze Kraft in den Stunden der endlosen Alarme, die sich nun förmlich jagen. Aber - eigenartig! Nicht ein einziges Mal braucht unser gemeinsames Gebet auszufallen! Wenn es auf die Stunde des Betens zugeht, ist entweder Vorentwarnung oder Entwarnung! Es ist wie eine eigenartige Fügung. Und die Beterschar kommt und bleibt auch dann, wenn unerwartet die riesigen feindlichen Geschwader über uns hinwegbrausen. Immer wieder senden wir unser stürmisches „0 Maria hilf, o Maria immer hilf!'" zur Gnadenmutter empor! und „0 Mutter der Schmerzen, das Schwert im Herzen, hilf uns durch Nacht und Not heim, heim zu Gott."
Ach, sie ist doch die Mutter unserer Gemeinde! Sie kann uns doch nicht verlassen!! Im Dunkel, wir dürfen ja kein Licht brennen, wirft eine Kerze durch einen ganz winzigen Spalt einer hohen, schmalen Blechdose einen schwachen Schimmer auf ihr trostvolles Antlitz.
Wie wollen wir nun mit Vertrauen die Novene zum Schmerzensfreitag halten, zu dem ihr besonders geweihten Tag vor dem Karfreitag? Aber gerade am ersten Tag der Novene, es ist der 9. März, fällt auch die erste Granate auf die neue Straße vor dem Lazarett: die Frühjahrsoffensive der Amerikaner ist bis zu uns vorgedrungen, der Beschuss hat begonnen. Dennoch fehlt an diesem Tag niemand bei dem Rosenkranz in der Gnadenkapelle. Aber, es heißt wohl Gott versuchen, wollte man täglich ungeachtet der Gefahr zur gewohnten Stunde zum Beten kommen.
In der winzigen Kellerkapelle des Mutterhauses ist das allerheiligste Sakrament geborgen. dort wollen wir von nun an uns treffen zum gemeinsamen Rosenkranz! Und wirklich - in irgendeiner Feuerpause kommen, die Beter immer, mal am frühen Nachmittag, mal gegen Abend, und auch weiterhin braucht unser Gebet nie auszufallen!
Am 11. März 1945 dringen Gerüchte zu uns herüber, amerikanische Spähwagen seien schon bis Montabaur vorgedrungen. So wird am 13. März das Lazarett geräumt und ab jetzt mit Zivilkranken oder durch den Beschuss Verwundeten belegt. Am 14. März fordert man die Bevölkerung auf, den Ort zu verlassen, aber niemand folgt. Ununterbrochen geht der Beschuss hin und her zwischen unserer schweren Flak und der amerikanischen Ari.
Am 15. März fällt wieder eine ganz schwere Granate auf die Straße gleich vor dem Lazarett und nun bleiben endgültig alle Kranken usw. im Keller. Der Beschuss wird immer heftiger.
Am
17. März schlägt eine schwere Granate auf die Straße vor dem Kloster ein und
man findet dort Bäckermeister Peter Giefer aus Arenberg mit schweren
Verletzungen. Der Volkssturm wird aufgeboten! Den Verwalter des Klosters,
Johannes Mehring, treffen auf dem Weg zur Gestellung in den Anlagen am
Antoniusweiher Granatsplitter und er muss schwerverletzt zurückgeschafft
werden. Es geht das Gerücht, Koblenz und Umgebung solle nun wirklich von der
Zivilbevölkerung geräumt werden. Wir rechnen mit allem. Da bekommt auch das
Caritashaus, das schon all die Zeit schwersten Schaden litt, weil hinter ihm im
Wald das deutsche Flakabwehrgeschütz versteckt liegt, einen Volltreffer.
Die
schwerste Nacht ist die zum Palmsonntag ! AIler Gottesdienst, auch aus der
Pfarrei, findet schon länger in der Kellerkapelle des Mutterhauses statt. Sie
ist so klein, dass nur der Priester in ihr Platz hat. Alle anderen stehen in
den langen, mit dicken Baumstämmen durch Vermittlung der Grubenleitung
abgestützten Kellerfluren. Aber wir haben doch den Heiland bei uns, können das
hl. Opfer feiern und uns bei ihm Kraft holen in diesen letzten zermürbenden
Wochen.
Heute nun haben wir Palmen geweiht und, warten
auf Franz Brendler, der mit seiner klangvollen Stimme uns die Passion beten
soll. Er kommt noch immer nicht und so muss die hl. Messe endlich ohne ihn beginnen. Da, gerade noch
rechtzeitig zur Passion, kommt er angerannt, erschöpft und über und über mit
Schmutz und Lehm bedeckt, atemlos.
Was war geschehen? Abends waren in Arenberg Panzersperren errichtet
worden und als der Offizier mit seinem Kommando abrückte, hatte er vielsagend
den in ohnmächtigem Zorn zuschauenden Männern erklärt: „Ich habe das meinige
nun getan. Versteht ihr?“
So
waren die Männer nach dem Verschwinden des Militärs ans Werk gegangen und
hatten im Schutz der Dunkelheit fieberhaft gearbeitet um bis zum Morgengrauen
die Panzersperren, die erfahrungsgemäß beim Einrücken der Amerikaner ungeahntes
Unheil über uns gebracht hätten, wieder restlos zu entfernen. So feiern wir die Palmsonntagsmesse mit
besonderer Dankbarkeit zu Ende.
Zwei Taufen haben wir auch in der KellerkapeIle: Renate Hilden aus Niederberg und Marita Scherhag aus Arenberg.
In den nächsten Tagen wird der Beschuss unerträglich. Unaufhörlich bellen und belfert das Flakgeschütz aus dem Wald hinter dem Caritashaus, das uns viel Sorgen macht.
Angeblich stehen die Amerikaner schon in Mallendar. Fern rollen die Panzer, Häuser und Boden vibrieren und schüttern von ihrer ehernen, stampfenden Fahrt in den Westerwald. Wir fiebern förmlich, wir können die Spannung und Erregung fast nicht mehr ertragen. Wir bestürmen den Herrgott und seine Mutter um Hilfe: Ein Ende! Ein Ende! Wie lange sollen wir es denn noch aushalten?
Da, plötzlich geht es wie ein Lauffeuer durch den Ort: Die Amis sind da! Von Ems her war ein Spähtrupp durch den Garten ins Lazarett gekommen und hatte nach180 Soldaten gefragt, die angeblich dort sein sollten. Als sie nichts Verdächtiges fanden, rollten die Panzer weiter auf Arenberg zu. Dort stürmte Bürgermeister Klee mit der weißen Fahne die Silberstraße hinunter. Es war am 27. März 1945, um 12:20 Uhr. Ohne Blutvergießen, ohne auch nur einen Schuss, ruhig und friedlich war die Besetzung erfolgt, wir waren gerettet !!
Und ?? - Arenberg sollte doch bis zum letzten Haus verteidigt werden, so hatte man bekannt gegeben und es sollte doch eher alles in Schutt und Asche gelegt werden, als das ...
Nun war alles vorbei und unsere Dankbarkeit Gott und der Gnadenmutter gegenüber kannte keine Grenzen, - wir wussten, wem wir unsere Rettung und die Erhaltung unserer Heimat zuzuschreiben hatten.
Bald schon setzte ein Wetteifer ein in der Ausstattung der Gnadenkapelle und die große Marmortafel dort sollte es für alle Zeiten festhalten:
Späteren
Geschlechtern, sei´s dankbar gekündet,
wie
uns Maria so wunderbar schützte,
da
uns Tod und Untergang nah.
Maria
geweiht,
am
Ende der Schreckensmonate
des
Kriegswinters 1944/ 45
Und ein Buch wurde der Gottesmutter auf den Altar gelegt in einer schlichten braunen Holzkassette geborgen. Viele, viele Familien aus Arenberg und Immendorf trugen sich dort handschriftlich ein und versprachen die Hilfe der Gnadenmutter nicht zu vergessen und wenigstens einmal in der Woche am gemeinsamen Rosenkranzgebet in ihrer Kapelle teilzunehmen.
Beigefügt ist ein Foto:
Das Gnadenbild von Arenberg, das in Wirklichkeit
aber viel, viel schöner ist.
Die fast lebensgroße flämische Eichenplastik
wird von Kunsthistorikern auf fast 400 Jahre geschätzt.
Ja, späteren Geschlechtern sei dankbar gekündet:
Mutter
der Schmerzen,........
Mutter
und Schutzfrau unserer Pfarrgemeinde:
segne
unsere Familien,
behüte
unsere Kinder vor der Macht des Bösen,
nimm
alle, mit denen wir in Liebe und Sorge
verbunden
sind, in deinen besonderen Schutz!
Und
erhalte uns alle in unverbrüchlicher Treue zu
Christus,
deinem göttlichen Sohne! Amen!